VORGEHENSWEISE

Auch mit  dem Abstand vieler Jahre nach der Wiedervereinigung ist die Diskussion  über Widerstand, Aufbegehren und Originalität einerseits und Anpassung, Mitläufertum und Mitäterschaft andererseits in totalitären Strukturen immer noch wichtig und nicht abgeschlossen. Zugleich ist der zeitliche Abstand eine gute Voraussetzung für eine unvoreingenommene Forschung. Ergebnisse und Forschungsansätze, die bislang sehr disparat behandelt wurden und ohne einen Bezug zur vermeintlichen Klammer des Gesundheitssystems und zu den Strukturen des SED-Staates stehen, sollen im SiSaP-Projekt neu zusammengeführt und erschlossen werden.

Zu unseren neuesten Forschungsartikeln gelangen Sie hier(Link). Über die wissenschaftlich-methodische Vorgehensweise können Sie sich im Folgenden informieren.

Anhand von Archivstudien sollen die für die drei Fächer relevanten Strukturen des DDR-Gesundheits- und -Forschungswesens dargestellt werden. Eine derartige wissenschaftliche Aufarbeitung für den Gesamtzeitraum von 1945 bis 1990 fehlt bisher. Die für die Durchsetzung der Gesundheits- und Wissenschaftspolitik verantwortlichen SED Leitungs- und Machtstrukturen sollen aufgezeigt werden. Mittels Archiv-Dokumenten sollen dabei u.a. die politisch-ideologischen Vorgaben von Politbüro bis zu den Bezirken und z.T. bis zur Kreisebene als auch Hinweise auf die allgemeine Methodik von Diagnostik und Therapie untersucht werden. Dadurch sollen die Implikationen für die drei Fächer im Zeitverlauf herausgearbeitet werden. Außerdem sollen bisherige Forschungserkenntnisse zur Verflechtung der Strukturen und Verantwortlichen mit der Staatssicherheit (MfS) ausgewertet und ergänzt werden.

Veröffentlichte Fachpublikationen sollen systematisiert, inhaltlich analysiert und durch einen kritischen Abgleich mit „den Alltagserfahrungen“ soll geprüft werden, ob diese wirklich Ausdruck der jeweiligen Forschung und Praxis waren. Wissenschaftliche Zeitzeugnisse (Fachartikel und –bücher) zu den drei Bereichen (Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie) sollen erfasst und analysiert werden, um verallgemeinernde Erkenntnisse wie z.B. bestimmte Denkschulen oder Konzepte aufzudecken. Weiterhin interessiert, ob die in den drei Bereichen wissenschaftlich Tätigen eine spezielle Rolle innerhalb gesellschaftlicher Transformationsprozesse einnahmen. Zudem sollen Netzwerkstrukturen und Arbeitsbündnisse mittels Literaturzitierungen aufgedeckt werden, da sich hinter der Fassade des scheinbar monolithischen Herrschaftssystems zahlreiche Interessengegensätze und Bündniskonstellationen zeigen könnten.

Zeitzeug*innenberichte stellen ein zentrales Element des Projektes dar. Durch das „Zu-Wort-kommen-lassen“ von Zeitzeug*innen soll ein ganzheitlicher Blick auf die Zeit der DDR und der drei Bereiche (Psychiatrie, Psychotherapie und Psychologie) geworfen werden. Verschiedene Lebenswelten und Sichtweisen werden durch die Interviews für die Nachwelt nicht nur konserviert, sondern auch greifbarer. Mithilfe von Interviews sollen Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem und speziell den untersuchten drei Gebieten retrospektiv und damit auch im Hinblick auf deren Repräsentation in unterschiedlichen Gruppen untersucht werden.
 

Bei der Personenauswahl sollen Akteure befragt werden, die in den DDR-Fachgesellschaften der drei Bereiche offizielle Funktionen eingenommen haben, Akteure, die als Ärzt*innen oder Psycholog*innen tätig waren, ohne in das SED- oder Stasi-System involviert gewesen zu sein und Akteure, die explizit politischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren.
 

Ebenso wichtig sind Interviews mit ehemaligen Patient*innen und Personen, die Psychiatrie und Psychotherapie in Anspruch genommen haben bzw. (ggfs. verdecktem) politischen Missbrauchs durch die sogenannte operative Psychologie ausgesetzt waren.

Um die qualitativen Zeitzeugnisse und Aktenanalysen zu untermauern, soll auf deren Basis eine telefonische Repräsentativbefragung durchgeführt werden. Ziel ist es jeweils 2000 Personen in den neuen und in den alten Bundesländern zu befragen. Inhalte der Befragung werden u.a. innerdeutsche Migration, Fluchthintergrund nach dem 2. Weltkrieg, subjektive Erfahrungen mit den drei Bereichen Psychiatrie, Psychotherapie und Psychologie im DDR-Gesundheitssystem, Bewertungen der Wiedervereinigung sowie der DDR- und Nachwendezeit, aber auch Fragen zu Partnerschaft, Bindung, Lebenszufriedenheit, Traumata, sozialer Unterstützung und sozialen Werten, wie auch zu psychischen Erkrankungen sein. Die Befragung wird repräsentativ nach Alter, Geschlecht, Bildungsgrad erfolgen.